„Ungehobelt“ in der DNN

Bericht vom 21.03.2017 / DNN

Ungehobelt
Charakterstudien im Kleinformat von Georg Schulz in der Galerie Ines Schulz

von Klaus Nicolai

Georg Schulz ist ein Mann der ganz großen Serien. Er reist mit ca. 400 holzgeschnitzten Figuren von Hamburg nach Dresden und stellt diese aus Platzgründen nicht etwa in den städtischen Raum der „Kunststadt“ – die da öffentlich kaum etwas mit Kunst am Hut hat –, sondern arrangiert diese in der Vis a Vis-Galerie Ines Schulz Contemporary Art. Freilich sind die grob geschnitzten, ja wie in Holz gehauenen menschlichen Figuren nicht „mannshoch“, sondern um die 20 Zentimeter, dazu kommen einige größere ausgewählte Charakterstudien. „Serie“ hat hier allerdings kaum etwas mit Serienproduktion, beliebiger Reproduzier- und Austauschbarkeit zu tun. Einzig die Parameter von Größe und Volumina sowie die Herstellungs- und Farbtechnik als auch die inszenierte bzw. installierte Gruppierung der Figuren bilden ein durchgängiges Grundprinzip.

Ab da wird aber alles anders. Es gibt keine Figur, die einer anderen ähnelt, und die Aura der Nichtreproduzierbarkeit liegt wie ein Heiligenschein auf kleinen Ärzten, Paaren, Putzfrauen, Fußballern, Händlern, Politikern, Akademikern, Bankern, Flötisten oder dem Pflegepersonal einer Anstalt… Die Reihe der von Schulz’ auf einen wichtigen Punkt gebrachten (a)sozialen Rollen lässt sich, wie seine nunmehr schon 18 Jahre währende Beschäftigung mit der kleinformatigen Plastizität des Menschlichen, beliebig fortsetzen. „Ungehobelt“ steht vielleicht auch für „ungeschminkt“ und dies in unterschiedlichen Dimensionen.

Im gewissen Sinne sind Schulz’ Plastiken so etwas wie die Umkehrung des berühmten Kirsch-Kopf-Kerns in der Schatzkammer des Grünen Gewölbes: Wenn der damalige Meister der Mikroschnitzerei 185 Gesichter auf den Kern stichelte – so ist Georg Schulz der Meister der Miniatur-Grobschnitzerei. Nicht fein „stichlich“, sondern wie mit einem großen Beil behauen wirken die Zwergkolonnen. Wobei es sich um eine Zwergen-Axt handeln müsste, die wiederum nicht die Masse aufbringen würde, um das Holz zu behauen. Eine offensichtlich verblüffende Paradoxie in sich: Wie verbindet sich die Anmutung einer leibhaftig geschwungen Axt mit den ausdrucksstarken, ja liebevoll karikaturhaften Posen seiner kleinen großen Menschenkinder?

Es gibt zwar vorfertige Figurenkonstellationen, aber keine berechenbaren Relationen zwischen ihnen. Hier beginnt das zweite künstlerische Feld des Bildhauers: die Komposition der Figuren im Raum, die Erfindung von Kontexten wie z.B. Sockel (Ärzte und Schwestern posieren auf Pharmaschachteln…) oder – wie erstmals in der aktuellen Dresdner Ausstellung eine raumgreifende Platzierung von 224 Figuren auf sieben Schachbrettern. So überschreitet das Schaffen von Georg Schulz ganz offensichtlich die Grenzen des Modellierens in Richtung Installation und Inszenierung. Vielleicht Versuchsanordnungen mit Verweis gar auf das, was Joseph Beuys als „Soziale Plastik“ praktizierte. Soziale Plastizität als Kleinversuch mit Holzfiguren? Holzfiguren, die im Kontext ihrer Schachbrettpositionen wiederum in einem anderen konventionellen Spielzusammenhang stehen: Schach-Spiel ist immer schon ein symbolisches Macht-Spiel. Freilich sind alle von Schulz kreierten Figuren unfähig, sich auf dem Raster wirklich spielen zu lassen – sie passen nur bedingt in die Rollen „Dame“, „König“, „Läufer“, „Turm“ und „Bauer“! Da gibt es am Ende ein großes Durcheinander bis hin zur Anbetung einer kleinen Führerfigur (?) auf dem Sockel…

Auch diese inszenierte Installation betont Aspekte des Komischen, Lustigen, Karikaturhaften. Eine Art Stereotypisierung jeder einzelnen Figur in Geste, Haltung, Körpersprache. Dies alles zugleich mit dem Hauch eines unverwechselbaren Charakters, der ganz sicher durch die groben Strukturen hindurch herauslesbar – ja hineinlesbar wird. Obwohl die einzelnen Figuren in ihrer jeweils typischen farblich transparenten Bekleidung auf den ersten Blick irgendwie recht fertig wirken – also für sich stehen und in die Welt hinaus gehen können –; geht es Schulz nicht um isoliertes Ich-Menschentum, sondern um zwischenmenschliche Konstellationen der Zu- und Abneigung, der Hin- und Abwendung usw. Relationen zwischen Figuren/Menschen in für sie typischen Situationen eröffnen Möglichkeiten eines gestischen Wahrnehmens, eines situativen sich ereignen Lassens, das der Materialität – in dem Fall des Holzes und der Farbe – nicht innewohnt. Insofern bekommen die Arrangements etwas skizzenhaft Erzählendes. Und diese Erzählung ist in ihrer klaren und zugleich grob geschnitzten Typisierung eine Erzählung über uns selbst, über unsere Standhaftigkeit, Verletzlichkeit, Instabilität wie Umtriebigkeit … Die Kanzlerin auf einer Bank sitzend ist sogar in einigen Metern Abstand als diese erkennbar! Die gesamte Ausstellung ist letztlich ein Unikat, das mit seinen kleinen „Menschen-Bausteinen“ Resultat eines forschenden Kreationsprozesses vor Ort ist. Also – wenn man so will – Resultat einer verborgenen Performance im Hier und Jetzt. Schön, dass ein solch offener Ausgang von Kunst in einer Dresdner Galerie gewagt wird.