Rezension zur Ausstellung NÄCHTLICHE ERNTE von Uwe Kolbe

Bericht vom 12.10.2018 / DNN

Haltungen
Bilder von Hannelore Teutsch und Figuren von Hans Scheib in der Galerie Ines Schulz

von Uwe Kolbe

Die Reise der Bilder von Hannelore Teutsch, geboren im Zweiten Weltkrieg in Berlin, und der Skulpturen des nach dem Krieg in Potsdam gebürtigen Hans Scheib nach Sachsen ist temporärer Natur. Doch Zufall ist sie nicht. Der Bildhauer hat sein Handwerk in den 70er Jahren wesentlich an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden erlernt. Seine heutige Meisterschaft hat offensichtlich auch damit zu tun, dass er Anatomie, freies Zeichnen und Auseinandersetzung mit der Tradition bis heute pflegt. Trotzdem er 1976 nach Ost- und 1985 nach Westberlin weiterzog und sich von dort aus seinen Platz in der Kunst- welt erarbeitete, hat er Ausstellungen in Sachsen, vor allem in Dresden, immer wieder mitgestaltet. Beleg dafür sind u.a. die legendäre, subversive Gruppenausstellung „Frühstück im Freien“ 1982 im Leonhardi-Museum, die Ausstellung „Der goldene Topf“ 1995, wofür E.T.A. Hoffmanns gleichnamiges Märchen Titel und Bildvorgaben lieferte, gemeinsam mit dem Maler Peter Herrmann. Zuletzt zeigte es die grandiose Werkschau beim „Skulpturensommer 2018“ in Pirna.

Hannelore Teutsch ist in vielen Jahren als Buchgestalterin, Illustratorin und Typographin bekannt geworden. Ihre Haltung als Malerin mag davon geprägt sein. Sie zeichnet sich aus durch Genauigkeit, Humor und diskreten Umgang mit Leidenschaft, etwa in der Darstellung von Frauen: Im Selbstporträt als dunkel gekleidete, aufrecht Stehende im „Denkmal für den Unsichtbaren“. In der fotografisch genau eingefangenen Geste des Nachdenkens der Frau vor dem „Postoffice“. Und Haltung zeigt jene Frau in der Szenerie des Bildes „Nächtliche Ernte“, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt.

Ein Teil der Ernte, der Orangen liegt auf dem grünen Grund, ein Teil schwebt oder kreist über ihr, wenige hält sie in Händen. Die Frau hat einen Coup gelandet. Die Früchte gehören ihr, stehen ihr zu, auch wenn da die Leiter zum Diebstahl an der Mauer lehnt. Vielleicht träumt sie, ist im braunen Kleid, mit lässigen Boots an den Füßen, süchtig nach dem Vollmond, der über die Mauer schaut. Von Georgia O’Keefe gibt es das Traumbild einer schwebenden „Leiter zum Mond“. Berückend ihre Antwort auf die Feststellung eines Freundes, wie blau der Himmel hinter den grünen Bäumen wäre: „Ich sehe blauen Himmel vor den grünen Bäumen.“ Teutschs künstlerische Sicht ist ähnlich realistisch.

Haltung drückt sich selbstverständlich auch in Farbe aus. Auf Teutschs „Ernte“, die nächtlich-blaue Mauer, hinter der sich eventuell ein Garten befindet. Auf anderen Gemälden kühles Timbre, Schlaglicht. Oder die erdige Stimmung einer Landschaft mit Feldern nach der Ernte. Da grundieren vielerlei helle Grüntöne eine skurrile Parade von Gegenständen als „Stillleben mit Kaleidoskop“. Das ist sehr heiter, ohne im Witz aufzugehen. Und obwohl alles klar und deutlich gemalt ist, oft wie mit dem Bleistift umrissen, obwohl Personage, Umstände, Stadtansichten überaus konkret sind, entsteht aus den Konstellationen ein Geheimnis.

Skulpturen nun, an denen nicht Haltung abzulesen wäre, die sich nicht hielten als das, was sie eventuell darstellen, wozu wären die da? Hans Scheibs Figuren und Ensembles, ob tierisch oder menschlich, ob aus Sage, Mythos, Märchen herkommend, ob sehr groß oder sehr klein, aus Holz, Bronze, Gips, Stein… zeigen das mit Selbstverständlichkeit. Der zarte weibliche „Engel“, eine Bronze von einem halben Meter Höhe, schreitet dem Schwert hinterdrein, das er in Händen hält, sein Amt kein leichtes. Unter dem spielerischen Titel „Mood Indigo“ eine zarte Frauenfigur, klassisch-modern. Verblüffenderweise nicht aus Bronze, sondern aus metallhaft geglättetem und bemaltem Holz die ekstatische „CC Rider“ aus dem Rock’n’Roll-Song. Ein stiller, aber gestisch verwandter „Jonni“ gesellt sich dazu. Was für eine reich gefüllte Galerie! Schon verschlägt es einen mit der dunklen, 1,30 Meter langen, liegenden „Löwin“ auf die Prachtstraße von Babylon, vor das Portal eines Palasts des Pharaos, der Cleopatra… Die Haltung hoheitsvoll und gelassen.

Hier ließe sich ein unverkrampftes Gegenbild sehen zu den Anstrengungen mancher Zeitgenossen. Die einen türmen Busse zur Frage auf, die anderen antworten mit einem dicken Pferd unter antikem Namen. Warum bemühen Meinungsäußerungen oder Kommentare zum Zeitgeschehen so gern den Begriff Kunst? Weder Hans Scheib selbst noch seine Löwin müssen „sich positionieren“. Dieses repräsentative Raubtier könnte Macht flankieren wie eh und je. Als Kreatur wie als Metapher strahlt es Verachtung aus für alles, was seine Schönheit in Frage stellt.

Die unübersehbare Gruppe der mehr oder minder bekleideten Frauenfiguren kann hier nicht annähernd kritisch gewürdigt werden. Ihre Sinnlichkeit nach Rubens, ihr ironisch geschminkter Auftritt unterm roten Käppchen, jugendliche Exaltiertheit oder sichtbare Scham eines Mädchens aus Holz und Farbe stößt hier und da auf Entrüstung. Damen tuscheln, schütteln Köpfe. Klimt, Schiele, Dix haben die Lampe gehalten. Die Aufregung über den Maler Balthus geht eben in Basel weiter. Die Darstellung des menschlichen Körpers in der Kunst geht sowieso weiter.

Phidias, Michelangelo, Rodin, Degas, Lehmbruck, Kirchner haben uns ihre Skulpturen hinterlassen. Was machen wir mit den barocken und neobarocken Brunnen, was wird aus dem Nymphenbad im Zwinger?
Einer der Blickfänge der Ausstellung ist Scheibs „Mephisto“. Zum schwarzen Dress mit Kappe trägt er rote Socken und ein rotes Kleidchen. Hände und Gesicht weiß. Unter steilen Augenbrauen stechendes Blau der Augen, der rote Bogen des Munds. Die rechte Hand hält ein Bouquet roter Rosen. Der Schauspieler, der das sein könnte, sitzt auf einem Hocker. Die Vorstellung mag vorbei sein. Eine Variante von Gründgens als Mephisto, mit allem, wonach das ab 1932 aussieht.

Obendrein tragen die Rosen je drei schwarze Tupfen und einen Strich auf sich, sind allesamt kleine Totenköpfe. Dieses grandiose Stück Holz stellt wohl doch keinen Darsteller von irgendwem dar. Der da ist Mephisto selbst, ein Mann der ganz, ganz großen Bühne. Ein unschuldig dreinblickender Zyniker, einer, dessen Spiel die Welt verwirrt und entsetzt, wie es im Song der Rolling Stones heißt, der um Verständ- nis für den Teufel bittet: „Pleased to meet you Hope you guess my name But what’s puzzling you Is the nature of my game.“ Folgerichtig trifft man jenseits der Straße, im zweiten Showroom der Galerie, auf Christus am Kreuz. Bronze, Holz, Stahl, die Dornenkrone vergoldet. Ein klassisches Stück. Man wünscht sich ein solches Bild des Schmerzensmannes und Versöhners in größerem Maßstab im öffentlichen Raum, vielleicht in einer Kirche in Dresden. Andernorts mag auch „Nacht der Narren“ von Hannelore Teutsch passen.